von Kirsten Boie – mit Bildern von Jutta Bauer
Weil Mama plötzlich zur Fortbildung muss, fahren Anna, Magnus und Linnea mit Papa nach Schweden. Papa wäre zwar lieber nach Ibiza geflogen, wie damals, als sie noch eine richtige Familie waren, aber schließlich ist das Ferienhaus bereits gebucht. Und überhaupt! Sind Anna, 11, Magnus, 7, und Linnea, 4, nicht auch Papas Kinder? Eigentlich muss es doch ein Glücksurlaub werden! Das Haus in Schweden ist rot und liegt mitten in einem Birkenwald, in der Nähe gibt es einen See mit einem Boot und die Sonne scheint wie auf Ibiza… Wenn nur Friedrich nicht aufgetaucht wäre, der Sohn von Papas neuer Frau. Aber Anna hat ja ihren Glücksstein…
Mir fällt auf, wie viele Kinderbücher es gibt, die sich nicht nur mit der Trennung der Eltern, sondern auch mit dem Leben danach und dem Thema „Patchworkfamilie“ auseinander setzten. Scheint wohl ein Produkt der Zeit und dessen zu sein, dass immer mehr Familien auseinander brechen. Hier wird den Kindern gezeigt, wie sie die neue Situation akzeptieren können, nachdem sie alles ihnen mögliche getan haben, um die Eltern wieder zusammen zu bringen. Denn dies gelingt in den seltensten Fällen. Schon garnicht, wenn andere Partner im Spiel sind
Mir gefallen hier besonders die Charaktere der drei Kinder.
Anna ist ein verträumtes Mädel, was immer zu denken scheint, dass sie für die Situation verantwortlich ist und sie ändern muss. Da die Realität nicht ganz so rosig ist, flüchtet sie sich in ihre Tagträume. Ein Verhalten, was ich von mir selbst kenne. Aber meine Träume waren anders. Meine Träume handelten davon, dass die Situation eine positive Wandlung nahm und ich die Liebe, Aufmerksamkeit und Zuwendung bekam, die mir meiner Ansicht nach zustand.
Anna ist da anders. Sie träumt immer wieder davon, dass sie arme Kinder sind, die mutterlos in der kleinen Hütte im Wald aufwachsen. Sie muss alles übernehmen, den Haushalt machen, sich um die Kinder kümmern und nach Nahrung suchen usw. In diesen Träumen ist sie glücklich.
Magnus ist ein sensibler Junge, hat etwas sehr Rührendes an sich. Er liebt Tiere und könnte sich stundenlang damit aufhalten, sie zu beobachten und zu studieren. Er könnte keiner Fliege was zuleide tun – daher eskalliert die Situation, als er beim Angeln einen Fisch fängt. Magnus rastet total aus, kann es nicht ertragen, den sterbenden Fisch zu sehen und als sein Vater auch noch falsch reagiert… Eigentlich sollte der den Fisch abmachen und wieder ins Wasser werfen, aber der Papa versteht nicht, was Magnus will und zeigt ihm, wie man mit einem gezielten Schlag auf den Kopf das Leiden des Fisches beendet.
Unfassbar. Aber noch verrückter ist wohl, dass Magnus trotzdem weiter angeln geht. Ok, diesen Fisch hatte er gefangen, obwohl er die Angel ohne Köder ausgeworfen hat. Aber damit sowas nicht noch mal passiert, schneidet er einfach den Haken von der Angelschnur ab und setzt sich dann damit auf den Steg und angelt stundenlang hingebungsvoll.
Tja, und da ist dann noch Linnea, die mich unglaublich an jemand erinnert *grins*. Hier mal ein paar Auszüge aus dem Buch. Jeder, der das liest und mich und meine Familie kennt, der weiß, wen ich meine:
„Wenn du so schnell fährst, kriegt Linni (das ist ihre Puppe) Angst, Herr Schulze“, sagt Linnea von hinten. „Und dann muss sie spucken, und rate mal, wer die Sauerrei dann wegmachen muss“. Papa lacht und wird wirklich ein winziges bisschen langsamer. „Warum sagst du denn Herr Schulze zu mir, Lennea?“, fragt er. Linnea sucht sein Gesicht im Rückspiegel. „Heißt du nicht so?“, fragt sie. „Man darf nicht zu allen du sagen, Herr Schulze. Das machen die Babys.“
Papa räuspert sich. „Doch, doch, Linnea, selbstverständlich“, sagt er. „Aber ich bin schließlich den Papa. Und du besuchst mich jeden Monat einmal in Bremen…“. „Nee, nee, nee“, sagt Linnea streng. „Ich kann doch nicht zu jedem, den ich einmal im Monat in Bremen besuche, Papa sagen. Was ist ein Monat, übrigens, Magnus?“
Magnus kicher. Die ganze Zeit hat er in seinen Büchern geblättert, aber jetzt sieht er doch auf. „Du sollst doch nicht wegen dem Besuchen Papa zu ihm sagen, Lennea“, sagt er. „Du sollst das sagen, weil Papa dein Papa ist.“ Linnea zeigt ihm einen Vogel. „Da könnte ja jeder kommen“, sagt sie schlau.
Tja, die Kleine ist ein kluges und etwas vorwitziges Mädel, ich mag sie, so wie ich das Mädel mag, an die sie mich so hartnäckig in jedem Satz erinnert. So erklärt sie ihrem Vater, dass ihre Puppe, die eine Jungen-Puppe (mit einem Penis) ist, dennoch einen Mädchennamen haben kann, denn „sie will kein Junge sein, übrigens“.
Auch wundervoll die Geschichte am Badesee.
Die Badestelle liegt mitten im Wald, gar nicht weit vom Bootsplatz entfernt. Aber hier gibt es auch eine Wiese zum Liegen und einen Badesteg und einkleines bisschen Sand, und sogar ein altes, verwittertes Umkleidehäuschen aus Holz gibt es da, das Linnea jetzt interessiert anstarrt.
„Wohnt da einer?“, fragt sie und kratzt schon wieder an ihren Mückenstichen. „Ist der nicht böse, wenn wir in seinem Garten baden?“ Anna kichert. „Nee, das ist nur zum Umziehen da“, sagt sie. „Es gibt Leute, die mögen ihr Badezeug nicht anziehen, wenn andere zugucken, Lennea. Die gehen da rein.“
Lennea denkt einen Augenblick nach. „Ich mag das auch nicht“, sagt sie dann entschieden und wurstelt sich wieder aus ihrer pinken Badehose mit der Mickymaus auf dem Po. „Anziehen, wenn du zuguckst“, und dann flitzt sie splitterfasernackt zum Umkleidehäuschen und schlenkert ihre Badehose in der Hand…
Ein herrliches Buch, ihr müsst es unbedingt lesen!
Hier können die Kinder aber auch noch was Lehrreiches mit nach Hause nehmen, denn Anna lernt, die Situation anzunehmen und zu akzeptieren.
Eigentlich mag sie Friedhelm nicht, denn er ist in ihren Augen ein Eindringling. Dass seine Mutter mit ihrem Vater zusammen ist, verhindert immerhin die Wiedervereinigung der Eltern. Und dass seine Mutter nun noch ein Baby von ihrem Vater erwartet, ist eine Frechheit und macht alles kaputt, alle ihre schönen Pläne, dass die Eltern doch wieder zusammen kommen und sie eine richtige Familie sind – wieder. Und so zeigt sie Friedhelm die kalte Schulter, tut so, als sei er garnicht da. Als ob sie so etwas ändern könnte.
Aber dann kommt der Tag, wo Friedhelm ihr im strömenden Regen hilft Pilze zu sammeln, obwohl er weiss, dass es um diese Jahreszeit gar keine gibt und er erzählt ihr von seinen eigenen Gefühlen. Erstaunt erkennt sie, dass er ebenso fühlt wie sie, dass auch er sich wünschen würde, dass seine Mutter wieder mit seinem Vater zusammen kommt und dass auch er das Baby als Eindringling empfindet. Beide wünschen sich schamhaft, dass seine Mutter das Baby verliert, denn sie ist in der Klinik, weil es Probleme mit der Schwangerschaft.
Das erste Gespräch hat den Weg geebnet, um mit den Problemen klar zu kommen. Sie lernen einander schätzen, werden sogar Freunde und am Ende haben sie auseinanderklamüsert, dass sie ja nun verwandt sind und sie freuen sich auf das neue – gemeinsame – Geschwisterchen…